«Die Zeit der Schubladen ist vorbei»

Traditionen und die als falsches Mahler-Zitat berühmt gewordene «Weitergabe des Feuers» stehen beim 8. Symphoniekonzert des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck unter Leitung des äußerst gefragten Briten Jonathan Bloxham – jüngst neben seinen Ämtern als Musikdirektor des Luzerner Theaters und Conductor in Residence bei den London Mozart Players überdies zum Chefdirigenten der Nordwestdeutschen Philharmonie berufen – auf dem Programm. Der Cimbalom-Virtuose Jenő Lisztes berichtet im Expert:innengespräch über seine Neufassung von Franz Liszts Ungarischer Fantasie und darüber, welche Bewandtnis es mit seinem «Nationalinstrument» hat.

Jenő, kannst du uns ein wenig über dein Instrument erzählen?

Jenő Lisztes Kleinere Cimbalom-Instrumente gibt es schon sehr lange, in Ungarn lassen sie sich bis mindestens ins 16. Jahrhundert nachweisen. Das moderne Konzertcimbalom mit Dämpfungspedal wurde aber 1874 von József V. Schunda erfunden. Bei der Vorstellung dieses Instruments war übrigens auch Franz Liszt dabei. Er war ganz begeistert und hat Schunda für alle 1.000 Instrumente, die dessen Firma gebaut hat, ein Gratulationsschreiben geschickt. Über die Jahrzehnte wurde Schundas Entwurf verbessert; moderne Instrumente haben einen Tonumfang von fünf Oktaven, der dem eines Klaviers ziemlich nahekommt. Mein eigenes Instrument ist drei Jahre alt und unterscheidet sich optisch stark von anderen. Die meisten Cimbaloms sehen aus wie volkstümliche Instrumente, meines ist hingegen für die klassischen Bühnen schlicht gehalten, angelehnt an einen Konzertflügel. Außerhalb von Ungarn sind diese Instrumente schwer zu finden, deshalb bringe ich, wo immer es möglich ist, mein eigenes mit, was bei einem Gewicht von 100 kg heißt, dass zwei oder drei Leute mit anpacken müssen.

Eingesetzt wird das Cimbalom ganz vielfältig: in ungarischer Volksmusik, in der Roma-Musik, die in den Restaurants und Kaffeehäusern gespielt wird, auch wenn sich die Zahl dieser Gastronomiebetriebe in den letzten Jahren – verstärkt durch die Auswirkungen der Pandemie – drastisch von über 100 auf zwei oder drei reduziert hat, und natürlich in klassischer Kunstmusik.

«Außerhalb von Ungarn sind diese Instrumente
schwer zu finden, deshalb bringe ich, wo immer es
möglich ist, mein eigenes mit, was bei einem Gewicht
von 100 kg heißt, dass zwei oder drei Leute
mit anpacken müssen.»

Jenő Lisztes

Wie bist du dazu gekommen, dieses Instrument zu lernen?

Ich bin Cimbalom-Spieler in vierter Generation, es war also in gewisser Weise vorgezeichnet. Mein Vater, Großvater und Urgroßvater waren Roma-Musiker – ich bin der erste aus meiner Familie mit einem (klassischen) Abschluss (im Gegensatz zum Volksmusik-Abschluss) von der Franz-Liszt-Musikakademie, habe aber auch u. a. bei dem legendären Spieler Jenő Sörös Roma-Musik studiert.

Gustav Mahler, dessen Erste Sinfonie im Konzert ebenfalls zu hören sein wird, hat einmal gesagt: «Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.» Dich könnte man als Komponisten wie als Interpreten wohl geradezu einen Wanderer zwischen gleich mehreren Welten nennen …

Das mag durchaus sein. Seit meiner Jugend interessiere ich mich sehr für Jazz, habe mit 15, 16 Jahren angefangen, Songs für das Cimbalom zu «übersetzen» und habe ein eigenes Jazz-Trio. Das ist ja ein ganz neuer Stil für das Instrument, vielleicht dem Klavier noch am nächsten – aber freie Improvisationen auf dem Cimbalom gibt es z. B. in der Roma-Musik gar nicht.

Das Cimbalom bringt da in den Jazz eine neue Farbe ein, die schwieriger in die Szene einzubinden ist – und auch in die Klassik-Szene. Mit Orchestern wie dem Budapest Festival Orchestra oder den New Yorker Philharmonikern spiele ich viel Liszt und Brahms, aber im Moment sind auch gerade zwei zeitgenössische Konzertwerke von ungarischen Komponisten in Arbeit, die ich in Hinblick auf die Behandlung des Cimbaloms beraten habe. Außerdem spiele ich in Formationen verschiedener Größen in verschiedenen Stilen von Balkan bis Jazz, so auch im genreübergreifenden Ensemble des Geigers Roby Lakatos, und habe für Hans Zimmer Musik zum Film Sherlock Holmes: Spiel im Schatten eingespielt.

Was bedeutet dir dabei Authentizität?

Ich denke, Authentizität war vor allem in der Vergangenheit sehr wichtig. Natürlich habe ich wahnsinnig viel gelernt, indem ich in den Restaurants der älteren Generation zugehört habe. Budapest ist einfach das Cimbalom-Zentrum schlechthin, sowohl was den Bau als auch das Spiel der Instrumente betrifft. Und Jazz habe ich auf ähnliche Weise über das Zuhören gelernt. Aber für die neue Generation ist es nicht mehr so, dass man sich zwangsläufig mit einem Stil identifiziert. Die Zeit der Schubladen ist vorbei. Wahrscheinlich hat sich einfach der Referenzpunkt geändert. Ich würde es vielmehr so sehen, dass ich Altes und Neues mische und so mit meiner eigenen künstlerischen Stimme die Tradition fortführe.

Was dürfen wir von deiner Liszt-Bearbeitung erwarten?

Liszt ahmt an ganz vielen Stellen der Klavierfassung den Klang des Cimbaloms nach, z. B. mit der Art des Akkordspiels, Tremoli und Schimmer-Effekten. Diese Stellen hebt meine Bearbeitung besonders hervor, einige Passagen musste ich hingegen etwas reduzieren, da sich mit zwei Schlägeln nicht das Gleiche wie mit zehn Fingern abbilden lässt. Als eine weitere eigene Note habe ich eine ganz auf das Cimbalom zugeschnittene Kadenz im Stile von Liszt hinzukomponiert, auf die das Innsbrucker Publikum gespannt sein darf.

TEXT Madeleine Onwuzulike
SUJETBILD Erli Grünzweil
BILD Anita Veres

video - Titelbild
© Erli Grünzweil

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