Wer ist das Genie? Einblicke in die Welt eines Irrenhauses, in dem nichts ist, wie es scheint. Das Zeitstück Die Physiker wirft viele Fragen auf, manche bleiben unbeantwortet.
Dürrenmatts brillanter und zeitloser Komödie Die Physiker, in der er seinem Leitgedanken – „Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat“ – treu geblieben ist. Und das ist es auch, was das Stück bis zum Schluss so spannend und mitreißend macht. In einem Irrenhaus – wie es bei Dürrenmatt heißt – wohnen drei Physiker: Der eine, Möbius, ist der Entdecker der „Weltformel“, deren Anwendung die Vernichtung der Welt bedeuten könnte. Aus diesem Grund hat er sich ins Irrenhaus zurückgezogen. „Möbius ist in Wahrheit nicht verrückt, er verstellt sich nur, weil er die Welt vor seiner Erfindung schützen möchte. Er ist von allen drei Physikern am längsten in der Anstalt und täuscht seinen Wahnsinn nur vor, indem er behauptet, seine Erfindungen würden von König Salomo diktiert“, erklärt Regisseurin Elisabeth Gabriel.
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Die anderen „Bewohner“ des Heims – „Einstein“ und „Newton“ – sind beide ebenso wenig irre wie Möbius, sondern von unterschiedlichen Geheimdiensten entsandt, um an Möbius’ Weltformel zu gelangen. Die Geschichte kommt ins Rollen, nachdem bereits die zweite Krankenschwester von ihnen ermordet wurde, um ihr Geheimnis des gespielten Wahnsinns zu wahren. Einen Faktor haben die drei Physiker allerdings nicht bedacht: Die Leiterin der Anstalt, Frau Doktor Mathilde von Zahnd, hat im Hintergrund einen perfiden Plan gestrickt und sie zu ihrem Spielball gemacht.
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Für Elisabeth Gabriel, die am Tiroler Landestheater zuletzt bei Der goldene Drache und Das goldene Vlies Regie führte, ist Dürrenmatts Komödie eine besondere Herausforderung: „Es ist ein in sich sehr geschlossenes Werk, das als sein perfektestes Stück gilt. Drei Physiker, die drei Krankenschwestern umbringen – das ergibt automatisch ein merkwürdiges Changieren zwischen reeller Figur und Überzeichnung und dabei ist es nicht so leicht, die Waage zu finden. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Vinzenz Hegemann habe ich mich für ein zunächst realistisches Setting entschieden, in dem der allmähliche Verlust der Realität und der moralischen Werte in diesem Stück klar erkennbar wird.“
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Diese Realitäts- und Wertvorstellungen verschwimmen nicht nur bei den Bewohnern des Irrenhauses, sondern auch bei den Besuchern von außen. Wie etwa bei Kriminalinspektor Richard Voss, der ins Haus kommt, um die Morde an den Krankenschwestern aufzuklären. „Am Anfang ist der Inspektor eine Figur, mit der wir uns identifizieren, deren Wertesystem uns vertraut ist. Aber im Verlauf des Stücks werden sein Weltbild und seine Moralvorstellungen komplett auf den Kopf gestellt. Am Ende hat er das Wertesystem der Parallelwelt im Irrenhaus übernommen und sich überaus komfortabel damit arrangiert. Die wahrhaft Verrückten sind letztlich nicht die, die sich dafür ausgeben“, sagt die Regisseurin.
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Und das betrifft eben auch Frau Doktor Mathilde von Zahnd, eine beklemmende Charakterfigur, die Möbius’ Weltformel längst an ihre eigenen Unternehmen verkauft hat und nun die Weltherrschaft anstrebt – die wahnwitzige Irrenhausleiterin als die wahre Verrückte. Es ist also bis zuletzt nichts, wie es scheint. Nicht einmal das selbstlose Handeln der Physiker, die sich, um den Weltfrieden zu erhalten, aus der Welt zurückziehen wollten, erweist sich als haltbar. „Alle drei Physiker erkennen zwar in ihrer scheinbaren Weisheit, dass es besser ist, sich zu opfern, als endlos weiterzuforschen, aber da liegt ihr Schicksal längst nicht mehr in ihrer Hand. Möbius fühlte sich lange Zeit überlegen und als Herr der Lage – dabei war er immer schon ferngesteuert“, erzählt Stefan Riedl über seine Rolle. Die Wendungen bei Dürrenmatt sind sehr überraschend und deshalb so spannend. „Und nicht zuletzt ist es vor allem ein komisches Stück. In der Probenarbeit erweist es sich noch als viel lustiger als zunächst gedacht“, freut sich Gabriel über diese Regieaufgabe und ergänzt: „Die im Kern bittere Wahrheit des Stückes wird mit einer unglaublichen Komik serviert.“
Text: Patrizia Reppe-Pichler